A, E and G, from the series "# 0 Meyers kleines Konversationslexikon 1906" | 2012 | 26 collages | 56x76 cm
E, G and S from the series "Dennert‘s Konversationslexikon / 1911" | 2012 | 29 collages | 50 x 70
Vorwort von Käthe Schönle, erschienen 2014 im Katalog Aa–Zy | Von der Poetik des enzyklopädischen Bildes
Tausende und abertausende Seiten hat Sophie Dvořák für ihre Arbeit Aa – Zy umgeblättert, durchforstet, besehen. Hunderte Abbildungen, Illustrationen und Fotografien aus Lexika der vergangenen hundert Jahre ausgesucht und fein säuberlich ausgeschnitten. Für jede Dekade des 20. Jahrhunderts wählte sie jeweils eine deutschsprachige Enzyklopädie, deren Bänden sie das Bildmaterial entnahm, das als Grundlage für die 10 Serien von Buchstabe A bis Z mit insgesamt 272 Collagen diente.
Einer intuitiven Systematik folgend, setzt die Künstlerin die bildlichen Bruchstücke wieder zusammen, um mit einer spielerisch eleganten Ästhetik Arbeiten von einer ganz eigenen, beeindruckenden Vielschichtigkeit entstehen zu lassen.
Die Dekaden sind auf unterschiedlichen Formaten angelegt, auch die Papiere sind von verschiedener Art, manche eher griffig, andere glatt, in den unterschiedlichen Weißwerten am Originalpapier der jeweiligen Lexika orientiert. Jedes Blatt überrascht mit einer dezenten Fülle von visuellen Eindrücken, die seltsam bekannt und den Jahrzehnten aus denen sie stammen unwillkürlich zuordenbar erscheinen.
Die papierene Enzyklopädie, aufbewahrt im bürgerlichen Bücherschrank oder der Regalvitrine, war die allgemein anerkannte Autorität, in der nachzuschlagen schnell Antwort auf Fragen aller Art bot. Die vermeintliche Neutralität und Sachlichkeit dieser Antworten wird in Sophie Dvořáks Arbeit ab dem ersten Blick ad absurdum geführt.
Das Blatt A aus der Serie #0 Meyers kleines Konversationslexikon / 1906 zeigt auf einem Aquädukt tänzelnde Affen aller Arten, floral erscheinende Augäpfel, Aloe vera verwoben mit einem altertümlich wirkenden Astronomiegerät. Die Machart der ausgewählten Illustrationen und die daraus entstandene Szenerie wirken verschroben poetisch, harmlos betagt in ihren warmen Grautönen. #2 Jedermanns Lexikon / 1922 – 29 bietet im Buchstaben B einen von Blatt, Bakterium und Bär begleiteten Bismarck, mit bekannt starrem Blick thronend auf Blut, Bienenzucht und Bruttosozialprodukt. Politische Situation, technischer und wissenschaftlicher Stand der Gesellschaft, soziokulturelle Verhältnisse und Zusammenhänge und deren schnelle Veränderlichkeit im 20. Jahrhundert werden auf Sophie Dvořáks Alphabet-Blättern unweigerlich und immer wieder geradezu beklemmend deutlich.
Auf dem Blatt L der Serie #5 Standard Lexikon Farbig / Herder 1958 wird Lenin, das auf ein Las Vegas Werbeschild gestützte Haupt, von Zarah Leander gekrault, Lokomotive und Luftschiff rauschen über einer Lunge vorbei. Die Zeiten und Zeichen werden schneller, bunter, poppiger und in Quizmanier verlangen Personen und Abbildungen danach enträtselt zu werden.
In den siebziger Jahren hält die Sportfotografie Einzug, in der Serie #7 Bertelsmann Lexikon / 1974 finden sich auf dem Blatt mit dem vergleichsweise riesigen Letter S Ausschnitte aus Fotografien von Segelsport, Skifahren, Schwimmen und geben Auskunft über neue Reproduktionstechniken, veränderte Bildwiedergabe und kommende Medien. Mit dem #9 Harenberg Kompaktlexikon / 1994 schließt die umfangreiche Werkserie, auf dem Blatt Y thront eine schöne, schlanke Yogagymnastin über der grellbunten Yellow Press.
Sophie Dvořák entwirft in Aa – Zy auf sehr feinsinnige, ironische und ästhetische Weise ein beeindruckendes Panoptikum der vermeintlich neutralen Tatsachen und Bilder, das die Enzyklopädie als Spiegel für die veränderliche Konstruktion von Wissen und dessen gesellschaftlicher Bedeutung untersucht und in Frage stellt. Unter der akribischen Hand der Künstlerin werden die visuellen Fragmente der Lexika zu einem fragilen Gebilde von fein wuchernden Anspielungen und brachialen Zusammenhängen.
Durch die Zerlegung eines allgemein anerkannten logischen Systems erschafft Sophie Dvořák eine neue, unabhängig sinnige Welt voller ungeklärter Fragen und Verknüpfungen, die uns dazu bringt, in uns selbst nach Antworten nachzuschlagen.
B, F and O from the series "# 2 Jedermanns Lexikon / 1922 – 29" | 2013 | 28 collages | 24x31 cm
I, M and V from the series "# 3 Allbuch in vier Bänden und ein Atlas / Brockhaus / 1937/38" | 2011 | 28 collages | 38 x 45 cm
A, F and L from the series "# 4 Danubia Volkslexikon / 1948" | 2010 | 25 collages | 22,5x25 cm
H, K and L from the series "# 5 Standard Lexikon Farbig / Herder 1958" | 2010 | 26 collages | 29,7x42 cm
F, I and P from the series "# 6 Grosses Lexikon der Büchergilde in 4 Bänden / 1962" | 2012 | 28 collages | 42 x 59,4 cm
P, W and X from the series "# 7 Bertelsmann Lexikon / 1974" | 2012 | 26 collages | 60x80 cm
K, M and P from the series "# 8 Das Neue Lexikon / 1984" | 2012 | 28 collages | 50x50 cm
B, O and S, from the series "# 9 Harenberg Kompaktlexikon / 1994" | 2012 | 28 collages | 33x48 cm
(English translation by Christine Schöffler and Peter Blakeley)